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Eleanor Rigby

All the lonely people

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Der Vater, ein Ohr gefangen am Telefon, eine Lippe erklärt dem Sohn die Welt. In ihm nichts als Leere und die Erinnerung an den Glauben an den einen großen Sinn. Vorüber gleiten, schweigend ins Gespräch vertieft, zwei Ewiggestrige, die sich sehnen nach einem Früher, das es so niemals gegeben hatte. Einem Früher, das voller Verheißung steckte und die ach so düstere Gegenwart umso blasser erschienen ließ.

Die zwei Dyaden kreuzen sich in diesem Moment, unwissend vom Leiden der jeweils anderen, doch mit der tief verwurzelten Überzeugung, die schlechteren Karten vom Schicksal erhalten zu haben. Ein Moment, der das Leben aller Beteiligten aufwirbeln, ihre Lebenswege grundlegend umstruktuieren könnte. Doch er verstreicht und nichts passiert. Eine weitere Chance bleibt ungenutzt, der eigenen Passivität eine Aktion abzutrotzen. Der eigenen Hilflosigkeit Zukunftsoptimismus entgegenzusetzen.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Die WG-Mitbewohner gefangen zwischen Verbundenheitsgefühl, Weltschmerz und Einsamkeit. Die Wohlhabenden, die sich zwar alles leisten können, aber verlernt haben, das zu begehren, was sie bereits haben.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Doch niemand sieht mich. Vor Jahren gestorben, begraben mit meinem Namen, doch niemand, der meiner gedachte. Ich Eleanor, Sinnbild der Einsamkeit, will euch zuschreien, euch von euren selbsterlegten Fesseln zu befreien. Will euch schütteln, den Blick von dem zu lösen, was unverändlich ist und Energie in das zu stecken, was Zukunft verspricht.

Wo ist es hin, das kindliche Streben nach Verbundenheit, nach Gemeinschaft? „Jeder braucht Freunde, aber keiner mag mehr Menschen“ scheint das Mantra dieser Zeit geworden zu sein. Einer Zeit, in der das eigene Selbstbild so fragil geworden ist, dass es einzig durch Abgrenzung aufrechtzuerhalten ist. In der Fremde und Unheil gleichgesetzt und Andersdenkende als Scharlatane abgetan werden. In einer Zeit, in der Menschen nicht danach bewertet werden, wohin sie streben, sondern woher sie kommen. In einer Zeit, dessen Welt so sehr in Bewegung ist, dass sich immer mehr Leute finden, denen Stillstand und Rückschritt lieber ist. Immer mehr Tugenden wie Zuversicht und Hoffnung als unreale Lügenkonstrukte einer manipulierten Obrigkeit sehen und sich stattdessen an der eigenen Misere und Ausweglosigkeit ergötzen.

Dabei ist es doch gerade die Hoffnung, die uns Menschen im Kern zu dem macht, was wir sind. Ohne den Glauben an ein besseres Morgen hätten unsere Vorfahren niemals ihre Höhlen verlassen und neue Landstriche bevölkert. Ohne den fernen Schein am Horizont, wäre jegliche Motivation, neue Erforschungen zu machen, im Keim erstickt.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen und manchmal denke ich, sie haben vergessen, zu was der Mensch im Stande ist. Niemand scheint sich an die Hürden und Schicksalsproben zu erinnern, die unsere Art über Jahrtausende geformt haben. Eiszeiten, Krankheitsepidemiologien, Hungersnöte, Weltkriege. All das wurde überstanden, doch die Probleme unserer Zeit sind unüberwindbar? Das Leben eines jeden heute lebenden Menschen ist das Resultat von Generationen an Überlebenskämpfen, Tragödien und besiegten Widrigkeiten. Überkommenen Ängsten, getätigten Risiken und genutzten Chancen. Und obwohl es gerade ihr seid, die als Resultat dieser Verkettung von unwahrscheinlichen Entscheidungen enstanden und in diesem Moment am Leben seid, fehlt euch die Zuversicht? Fehlt euch die Kraft, an euch selbst zu glauben? Wer sollte den Herausforderungen der heutigen Zeit gewachsen sein, wenn nicht ihr, die ihr Produkt dieser jahrtausendelangen Selektion seid?

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Und ja, ich verstehe euch. Ich verstehe, dass es eine beruhigende Gewissheit geben kann, der Welt eine unveränderliche Grausamkeit zu attestieren. Ich verstehe, dass es sich manchmal so anfühlt, als könnte nichts Positives entstehen, bevor nicht all der Unrat beseitigt ist. Doch jede Sekunde birgt die Möglichkeit, diesem Unrat etwas Schöneres, Bessseres entgegenzusetzen. Jeder Moment könnte der Moment sein, der die Wende einleitet. Jeder Tag könnte der Tag sein, der später in Geschichtsbücher festgehalten würde. Dazu braucht es nur einen ersten Schritt und etwas Mut; selbst wenn es nur der eines Verzweifelten ist.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Wenn es nur eines gäbe, das ich euch sagen will, dann das: So oft redet ihr von Dingen, die euch im Weg stehen, um endlich zu leben, doch dabei vergesst ihr, das genau das bereits Leben ist. Also löst euch von euren Gedanken und schreitet zur Tat. All das, was ihr braucht, steckt bereits in euch.