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Gedanken

All the lonely people

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Der Vater, ein Ohr gefangen am Telefon, eine Lippe erklärt dem Sohn die Welt. In ihm nichts als Leere und die Erinnerung an den Glauben an den einen großen Sinn. Vorüber gleiten, schweigend ins Gespräch vertieft, zwei Ewiggestrige, die sich sehnen nach einem Früher, das es so niemals gegeben hatte. Einem Früher, das voller Verheißung steckte und die ach so düstere Gegenwart umso blasser erschienen ließ.

Die zwei Dyaden kreuzen sich in diesem Moment, unwissend vom Leiden der jeweils anderen, doch mit der tief verwurzelten Überzeugung, die schlechteren Karten vom Schicksal erhalten zu haben. Ein Moment, der das Leben aller Beteiligten aufwirbeln, ihre Lebenswege grundlegend umstruktuieren könnte. Doch er verstreicht und nichts passiert. Eine weitere Chance bleibt ungenutzt, der eigenen Passivität eine Aktion abzutrotzen. Der eigenen Hilflosigkeit Zukunftsoptimismus entgegenzusetzen.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Die WG-Mitbewohner gefangen zwischen Verbundenheitsgefühl, Weltschmerz und Einsamkeit. Die Wohlhabenden, die sich zwar alles leisten können, aber verlernt haben, das zu begehren, was sie bereits haben.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Doch niemand sieht mich. Vor Jahren gestorben, begraben mit meinem Namen, doch niemand, der meiner gedachte. Ich Eleanor, Sinnbild der Einsamkeit, will euch zuschreien, euch von euren selbsterlegten Fesseln zu befreien. Will euch schütteln, den Blick von dem zu lösen, was unverändlich ist und Energie in das zu stecken, was Zukunft verspricht.

Wo ist es hin, das kindliche Streben nach Verbundenheit, nach Gemeinschaft? „Jeder braucht Freunde, aber keiner mag mehr Menschen“ scheint das Mantra dieser Zeit geworden zu sein. Einer Zeit, in der das eigene Selbstbild so fragil geworden ist, dass es einzig durch Abgrenzung aufrechtzuerhalten ist. In der Fremde und Unheil gleichgesetzt und Andersdenkende als Scharlatane abgetan werden. In einer Zeit, in der Menschen nicht danach bewertet werden, wohin sie streben, sondern woher sie kommen. In einer Zeit, dessen Welt so sehr in Bewegung ist, dass sich immer mehr Leute finden, denen Stillstand und Rückschritt lieber ist. Immer mehr Tugenden wie Zuversicht und Hoffnung als unreale Lügenkonstrukte einer manipulierten Obrigkeit sehen und sich stattdessen an der eigenen Misere und Ausweglosigkeit ergötzen.

Dabei ist es doch gerade die Hoffnung, die uns Menschen im Kern zu dem macht, was wir sind. Ohne den Glauben an ein besseres Morgen hätten unsere Vorfahren niemals ihre Höhlen verlassen und neue Landstriche bevölkert. Ohne den fernen Schein am Horizont, wäre jegliche Motivation, neue Erforschungen zu machen, im Keim erstickt.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen und manchmal denke ich, sie haben vergessen, zu was der Mensch im Stande ist. Niemand scheint sich an die Hürden und Schicksalsproben zu erinnern, die unsere Art über Jahrtausende geformt haben. Eiszeiten, Krankheitsepidemiologien, Hungersnöte, Weltkriege. All das wurde überstanden, doch die Probleme unserer Zeit sind unüberwindbar? Das Leben eines jeden heute lebenden Menschen ist das Resultat von Generationen an Überlebenskämpfen, Tragödien und besiegten Widrigkeiten. Überkommenen Ängsten, getätigten Risiken und genutzten Chancen. Und obwohl es gerade ihr seid, die als Resultat dieser Verkettung von unwahrscheinlichen Entscheidungen enstanden und in diesem Moment am Leben seid, fehlt euch die Zuversicht? Fehlt euch die Kraft, an euch selbst zu glauben? Wer sollte den Herausforderungen der heutigen Zeit gewachsen sein, wenn nicht ihr, die ihr Produkt dieser jahrtausendelangen Selektion seid?

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Und ja, ich verstehe euch. Ich verstehe, dass es eine beruhigende Gewissheit geben kann, der Welt eine unveränderliche Grausamkeit zu attestieren. Ich verstehe, dass es sich manchmal so anfühlt, als könnte nichts Positives entstehen, bevor nicht all der Unrat beseitigt ist. Doch jede Sekunde birgt die Möglichkeit, diesem Unrat etwas Schöneres, Bessseres entgegenzusetzen. Jeder Moment könnte der Moment sein, der die Wende einleitet. Jeder Tag könnte der Tag sein, der später in Geschichtsbücher festgehalten würde. Dazu braucht es nur einen ersten Schritt und etwas Mut; selbst wenn es nur der eines Verzweifelten ist.

Ich schaue mich um und sehe all die einsamen Menschen. Wenn es nur eines gäbe, das ich euch sagen will, dann das: So oft redet ihr von Dingen, die euch im Weg stehen, um endlich zu leben, doch dabei vergesst ihr, das genau das bereits Leben ist. Also löst euch von euren Gedanken und schreitet zur Tat. All das, was ihr braucht, steckt bereits in euch.

Die Erstaunlichkeit unseres Seins

2 kommt von der Toilette zurück und deutet Richtung Morgengrauen.

1: „Ist das nicht eine zutiefst verstörende Vorstellung, dass Menschen auf Toilette gehen? In dem einen Moment redest du noch zivilisiert mit ihnen und dann gehen sie einen einen Raum 5 Meter weiter, nur getrennt von einer dünnen Tür, ziehen ihre Hose und Unterhose aus und lassen alles aus dem Körper fließen, was für den Körper keinen Wert mehr hat. Dann nehmen sie ein Stück Papier, reiben das ein paar mal hin und her, um Überreste dieser Aktion zu beseitigen, nur um dann zu einer anderen Schüssel aus Porzellan zu gehen und Wasser aus einem Metalhahn über ihre Hände fließen zu lassen. Sobald die Hände wieder einigermaßen getrocknet sind, öffnen sie die Tür und alle tun, als wäre nichts passiert.“

2 nickt langsam.

1: „Klar, wir sind daran ja gewöhnt! Aber stell dir mal vor, man hat Amnesie und jemand erklärt dir mit 30 Jahren das erste Mal, dass das der normale Umgang ist. Ich meine, es ist ja auch irgendwie etwas zutiefst natürliches und früher hat man ja sicher nur 5 Meter neben den Höhleneingang gekotet. Aber irgendwie schon schräg.“

2: „Ja, stimmt schon. Denk auch mal an Schlaf: man liegt für mehrere Stunden still und verliert einfach das Bewusstsein. Oder Küssen und Sex. Wenn man es so sieht, ist das alles ziemlich komisch. Kein Wunder, dass Kinder küssen eklig finden.“

1: „Allein Fernsehschauen: Leute setzen sich hin und schauen ein paar Stunden in eine Richtung auf etwas, das gar nicht wirklich existiert, sondern nur dafür gemacht ist, uns zu beschäftigen. Arbeit ist auch so ein Konzept, das eigentlich an Absurdität nicht zu überbieten ist; vor allem Büroarbeit. Man sitzt da und denkt über irgendwelche Sachen nach, die vielleicht irgendjemand anderes, der das aber noch gar nicht weiß, brauchen könnte. Also das ist ja vorausschauend und wichtig, aber irgendwie krass, dass wir als Menschen zu solchen abstrakten Handlungen fähig sind und nicht einfach nur: ‚Hunger => Essen‘; ‚Aua => Doktor‘-Verknüpfungen haben.“

2: „Vielleicht ist das ja auch was uns zum Menschen macht? Dass wir abstrakten Ideen einen Sinn geben können, der uns ermöglicht, nicht nur zu reagieren, sondern absichtsvolle Handlungen zum langfristigen Wohl von uns und anderen zu tätigen?“

1 deutet auf eine Weihnachtskarte.

1: „Überleg mal. Jemand hat dieses Bild erstellt. Das ist ja so fern von dem Darwin’schen Gedanken des „Survival of the fittest“. Ich meine, gut. Das abstrakte Konzept greift natürlich wieder: Soziale Verbindungen. Durch diese Weihnachtskarte werden Verbindungen gestärkt, die sich dann langfristig wieder auszahlen und dafür sorgen, dass weiterhin Projekte und Geld generiert werden, mit dem dann wieder Essen und Kleidung zum Bezirzen des anderen Geschlechts gekauft werden kann, womit man dann wieder bei Lebenserhaltung und -weitergabe als zentrale Lebensmotive und dem ultimativen Sinn des Lebens zurück wäre.“

1 atmet durch.

1: „Aber das der Mensch das begreifen kann! Ich meine, dass da irgendwelche Zellen ohne Bewusstsein in unserem Gehirn sind, die jede für sich nur kleine Funktionen haben, dessen Zusammenspiel dann aber dazu führt, dass wir uns etwas bewusst sind und wir planen. Das bringt doch genau das Organ wieder zum explodieren, das diese Fähigkeiten besitzt. Und dann kommt der Darwin und sagt: „Und jetzt stell dir vor: Das alles ist durch Millionen von Zufällen entstanden. Am Anfang gab es nur diese einzelnen Zellen aber dann ist einfach billiardenfach etwas schief gelaufen und nach genügend ungeplanten Reproduktionen hatten wir dann plötzlich Fische und Reptilien und irgendwann Säugetiere und dann Menschen. Einfach so. Durch Zufälle.“

2 nickt bedächtig.

2: „Das ist wirklich überwältigend. Aber auf der Skala das Universums gilt es vielleicht noch als primitiv, wozu wir in der Lage sind. Wer weiß, was andere Lebewesen für unvorstellbare Fähigkeiten haben. Wir Menschen sind schließlich auch nur auf unsere Dimensionen begrenzt.“

Die Kunst einen schlechten Text zu schreiben

man in train

Es war einmal. Im Laufe des Tages, als ich mich fragte, ob es sich lohnt, besonders zu sein. Es war einmal, als ich aus dem Fenster schaute und aus der Verspiegelung las, dass nichts so durchschaubar ist wie Glas. Dennoch spiegeln sich die verzerrten Fratzen der Leute wie kleine Abbilder darauf wieder. Niemand schafft es frei von Zweifeln zu sein. Wenn man müde ist, kann man sich auch selten von der Bettdecke befreien, aber so einfach ist es nun doch wieder nicht.

Kennst du das, wenn man ganz viel will, aber nur ganz wenig kann? Wenn man Ideen in sich trägt, aber sie nicht vollenden kann? Kennst du dieses Gefühl der inneren Zerissenheit, wenn das, was du tust, nicht ausreichend dafür ist, deine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen? Warum gibt es keine Wörter für solche Gefühle? Dystiphoria. Legnaphisie. Die Buchstaben wären doch da. Nur der Wille, daraus beschreibende Überbegriffe zu formen, scheint zu fehlen. Ist es so, dass das Leben weniger anstrengend ist, wenn man nicht allem einen Namen gibt? Ist es nicht so, dass einem Worte Halt geben, einem selbst helfen, zu verstehen, was für ein Problem man eigentlich hat?

Wenn der Schreiner um die Ecke kommt, schaut er sie sich dann fachmännisch an?
Wenn der Metzger ein Haar in der Suppe findet, denkt er dann an die Schambehaarung seiner Lieblingskuh?
Wenn der Förster den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, ist er dann bereit für die Psychiatrie?
Wie ist es um die geistige Verfassungen eines Halsabschneiders bestellt, wenn er realisiert, dass dabei auch der Kopf verloren geht?
Gibt es nicht generell nur sehr wenige Situationen, in denen man mit Steinen werfen sollte?
Wird der Posten für die Schere zwischen Arm und Reich eigentlich vererbt oder gibt es Bewerbungen, bei denen immer eine größere gesucht wird?
Warum gibt es Universitäten, wenn probieren doch so viel besser ist?

Wer kam darauf, dass es keine dummen Fragen gibt?

Manchmal stellt man sich Fragen, die einen plagen. Manchmal gesellt man sich zu Menschen, von denen man weiß, dass sie einem nichts gutes tun. Der Mann mir gegenüber hat gerade an seinem Laptop gerochen und dennoch tue ich so, als wäre nichts außergewöhnliches passiert. Will ich ihn oder mich nicht auffliegen lassen? Vorbeirauschende Bäume geben das Gefühl von Vorankommen, doch die Schweißperlen auf meiner Stirn lassen sich daran nicht stören. Leise kann ich im Hintergrund den Bahnschaffner hören, wie er durch die Musik auf meinen Ohren dringt und das Lied der nächsten Haltestelle zum Besten bringt.  

Ich schaue in die Ferne und frage mich, wie lange wohl die Freude über ein Graffito der eigenen Initialien bestehen bleibt. Die Infantilie pubertierender Erwachsener ist zuweilen interessanter als der von Versagensängsten geschwängerte Auftritt eines Comedians auf einer Bühne. An welchem Punkt beginnt man zu begreifen, dass nicht die Witze sondern seine eigene Figur Anlass zu Gelächter sind? Ist es dann schon zu spät, zu sagen, dass sei so gewollt und eigentlich arbeite man ja als Clown, von daher wäre das schon voll in Ordnung und man sei ja sehr glücklich, dass es so gut funktioniert hat. So zu tun, normaler Comedian zu sein, wäre natürlich Teil des Plans gewesen, ohne den es auf der Meta-Ebene einfach nicht so lustig gewesen wäre. Ach herrje, wo soll uns diese Versagensangst nur hinführen?

Während der Fluss der Gedanken langsam vor sich hinplätschert, wird mir klar, dass es immer die Ausnahmen sind, die unsere Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Als Beleg führe ich das süße Gefühl der Euphorie an, das immer dann entsteht, wenn die Antwort auf eine gestellte Frage „ausnahmsweise“ lautet. Wie das kribbelt, wie das Lust macht. 

Ein weiteres Mal lasse ich meinen Blick schweifen und kann mich gegen aufkeimende Fragen nicht wehren. Was bringt Werbung auf Güterwaggongs? Woher kommen eigentlich die ganzen Steine im Gleisbett? Wie viele Menschen kaufen wohl jetzt gerade einen neuen Fernseher? Wie viele schlagen gerade ihr Kind? 

Ich klappe meinen Laptop zu und fasse noch einmal zusammen:
Für manche Fragen ist wohl keine Antwort bestimmt.