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Haus

Ein Haus

„I feel weird inside. I don’t know the time. I don’t know if I’m alright.
Ab jetzt geht es auf Zeit, fühl mich jederzeit zum Scheitern bereit, doch kenne keinen weit und breit, der sich für sein Leben so sehr entzweit.“

Selbstreferentielle Scheiße wollte keiner mehr hören, das wusste Tommy aus eigener Erfahrung. Doch was sollte er tun, so narzistisch wie er war? Natürlich war nicht alles gut, was er schreiben würde, das war ihm selbst nur am besten klar. Doch im Innersten wusste er, dass er nur nach der Anerkennung von außen strebte. Dafür lebte, dass die Halle bebte, wenn er durch seine Wörter getragen über die Bühne schwebte. Er klebte seinen Graffito-Sticker an das Fenster gegenüber, sodass er jeden Morgen sehen konnte, dass er einen Unterschied in dieser doch ach so trostlosen Welt ausmachte.

„Hey Tommy, warum bist du eigentlich immer so melancholisch?“, fragte Sam aus der anderen Ecke das Raumes. Seine Augen verrieten, dass sein neu gefundenes Interesse an Tommys Stimmung zumindest teilweise durch den Joint in seiner Hand verursacht war. „Wegen des Vitamin Ds. Durch meine dunkle Haut und diese wenige Sonne hier in Wettin, kommt mein Körper nicht hinterher mit dem produzieren.“ Er räusperte sich. „Kennst du die Leute mit Winterdepressionen?“ Sam machte eine Bewegung, die einem Nicken gleich kam, aber auch bedeuten konnte, dass er versagte, seinen Kopf aus eigener Kraft aufrecht zu halten. „So geht es mir immer. Jeden Tag. Jede Minute.“

„That sounds like bullshit!“, säuselte Sam und nahm einen tiefen Zug von seinem Joint. „Vielleicht solltest du mal in eine vernünftige Wohnung ziehen. Deine jetzige Bude ist viel zu dunkel.“

Doch Tommy mochte seine Wohnung. Die Dunkelheit bedeutete auch, dass es selbst am wärmsten Sommertag noch erträglich kühl war und er sich seiner Liebe, der Musik, ohne Schweißperlen auf der Stirn hingeben konnte. Im Hintergrund liefen auch jetzt von ihm gebastelte Beats, die nur darauf warteten, von seinen Texten auf eine neue Stufe gehoben zu werden. Doch manchmal mochte er auch einfach die Stille, die diese Beats transportieren. Diese Unberührtheit und die<s Möglichkeit, die Musikvorlage durch seine Texte in jede Richtung zu lenken, die er wollte. Außerdem war diese stumme Musik ideal für diese Nachmittage mit Sam, an denen sie einfach nur in der Wohnung rumhingen und ihren Gedanken freien Lauf ließen. Diese Nachmittage verbreiteten eine gewisse Wärme in Tommy, die ihm Sicherheit gab und seine rasenden Gedanken etwas abbremste.

Zwei Stockwerke unter Tommy und Sam lag Lisa weinend auf dem Boden. Ihr Freund hatte sie soeben verlassen und damit ihre gesamte Welt zerstört. Sie hatten geplant, zusammenzuziehen, gemeinsam zu reisen; ja sogar über Kinder hatten sie schon im Spaß geredet. Und nun das. Ihr Freund sei zu der Einsicht gekommen, dass es zwischen den beiden doch nicht so gut passe und eigentlich, so sei ihm bewusst geworden, reise er auch gar nicht so gerne. Und zusammen wohnen würde er ohnehin erstmal weiter mit seiner WG-Mitbewohnerin, mit der er sich immer besser verstünde. „Diese kleine Bitch!“, dachte sich Lisa, die schon immer eifersüchtig auf sie war. Sie schniefte laut und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Sollen die sich doch ficken! Dann reise ich eben allein.“ Der Gedanke daran, ließ Lisa erneut in Tränen ausbrechen und stumm in ihr Kissen schreien. Sie wusste nicht, was sie schlimmer fand: Von nun an allein zu sein oder diese ganzen mitleidigen Blicke, die sie von ihren Freunden ernten würde. Ihre Freunde, die alle schon seit Jahren ach so glücklich in ihren Beziehungen waren und Lisa immer wieder mit ihren Liebesgeschichten beistanden. Jetzt war es wieder so weit, dass sie gestehen musste, dass sich ein Typ von ihr getrennt hatte. Sie würde wieder tröstende Umarmungen und leere Durchhalteparolen zu hören bekommen. Am schlimmsten waren immer jene, die meinten, er sei ja sowieso ein Arsch gewesen. Das hätten sie dann ja vielleicht auch mal sagen können, bevor er ihr Herz gebrochen hatte.

Lisa steigerte sich in den Ärger über die nähere Zukunft hinein und das beruhigte sie. Wut war immerhin direktional. Wut war expressiv. Trauer war nur lähmend. Trauer war wie ein zu schwerer Rucksack, der einem am Boden hält, obwohl man doch so gern fliegen mochte.

Lisa und Tommy konnten es in dem Moment nicht wissen, doch die Gedanken, denen sie in diesen Momenten nachjagten, würden die letzten in ihrem Leben gewesen sein. Am darauffolgenden Tag würde man ein Foto des komplett zerstörten Hauses zusammen mit der Geschichte von Freddy Eisenbauer in der Zeitung finden. Der berentete Hobby-Pilot hat heute von dem Tod seines lebenslangen besten Freundes erfahren und daraufhin versucht, seine Trauer in den Alkoholresten aus seiner Wohnung zu ertrinken. Durch den Wunsch getrieben, Abstand von allem zu gewinnen und auf andere Gedanken zu kommen, war er zum Flugplatz gefahren und in seine Maschine gestiegen. Kurz nach dem er in der Luft war, zeigten die selbstgebrannten Alkoholika jedoch ihre Wirkung und Freddy fiel in Ohnmacht. Unfähig, das Flugzeug zu steuern, segelte es ein Weilchen friedlich über den Himmel von Wettin bis es von einer Windböe getroffen das Gleichgewicht verlor. Es begann zu trudeln und stürzte ungebremst in die Walter-Meiß-Straße 28 und riss all seine Anwohner in den Tod.

4 Tote, 20 Sätze in der Zeitung. Ein Lebensende, das ohne Sinn und Bedeutung bleibt.